Wasch mich, aber mach mich nicht nass!

Ich habe momentan ganz oft das Gefühl, ich sitze im völlig falschen Film. Gerade wenn es um Themen geht, die etwas mit Kindern zu tun haben. Aktuell und der Auslöser meines momentanen “Halses” ist die Petition gegen die Bundesjugendspiele. Egal aus welcher Zeitung ich es jetzt verlinke, der Kern der Aussage bleibt.
Keinen-Bock-Urkunde

Das Bild zeigt übrigens die Urkunde, die unsere Tochter von den diesjährigen BJS mit nach Hause brachte. Bock auf die Veranstaltung hatte sie überhaupt keinen. Und ich Rabenmutter habe das sechsjährige Mädchen gezwungen, in die Schule beziehungsweise zu den BJS zu gehen. Wie konnte ich nur. Ich habe ihr keine Entschuldigung geschrieben und sie frei gestellt. Und warum nicht? Weil ich die “Ich finde das aber doof!” Haltung nicht unterstütze. Es gehört dazu. Punkt! Keine Diskussion. Zähneputzen finden die Kinder auch doof.
Wie? Das kann man nicht vergleichen? Doch, kann man.
Wenn ich sie immer gewähren lasse und sage: “Och, Du hast keine Lust, na dann brauchst Du das auch nicht!” wo komm ich denn dann hin? Dann tanzt mir bald ein sechsjähriger Krümel plus zwei größer Brüder auf der Nase rum und behaupten für alles, was auch nur ansatzweise doof ist keinen Bock zu haben.
Ich kriege so einen Hals bei der ganzen Verhätschelei, die ich seit Jahren beobacht. Ich kann doch meine Kinder nicht ihr ganzes Leben lang in Watte packen und alle “Demütigungen” von ihnen fern halten.
Ich zitiere ein Stück der Petition:

Die Bundesjugendspiele sind nicht mehr zeitgemäß: Der Zwang zur Teilnahme und der starke Wettkampfcharakter sorgen bei vielen Schülern für das Gefühl, vor der Peergroup gedemütigt zu werden. Daran hat auch die Einführung der “Teilnahmeurkunde” für diejenigen, die am schlechtesten abschneiden, nichts geändert.

Sport sollte Spaß machen und nicht nur für ein gutes Körpergefühl, sondern auch für Selbstbewusstsein sorgen, unabhängig vom Talent und Können des Einzelnen. Die Bundesjugendspiele in ihrer jetzigen Form (ursprünglich auf die Reichsjugendwettkämpfe zurückgehend) konterkarieren dieses Ziel, sie demotivieren Schüler und setzen sie unter sozialen Druck.

Aha! Die “Peergroup” also, die demütigt die Kinder? Was zur Hölle ist jetzt eine “Peergroup” – ich bin ja sprachlich sicherlich bewandert, aber das höre ich heute zum ersten Mal. Moment. Ich muss mal eben nachschlagen.
Sag das doch gleich… Der Duden sagt:

Gruppe von etwa gleichaltrigen Kindern oder Jugendlichen, die als primäre soziale Bezugsgruppe neben das Elternhaus tritt

Ich hätte dazu jetzt: Freundeskreis oder Kumpels gesagt. Aber hej, Peergroup klingt natürlich höchst dramatisch!

Und weil ich gerade dabei bin, Wörter nachzuschlagen: konterkarieren

Bedeutung
hintertreiben, durchkreuzen
Beispiel
eine Politik, jemandes Maßnahmen konterkarieren
Wussten Sie schon?
Dieses Wort stand 1900 erstmals im Rechtschreibduden.

Das Wort ist ja älter als die erwähnten Reichsjugendwettkämpfe. Ist das dann noch zeitgemäß?

So viel zu den Begriffsklärungen.

Also, das Kind ist unsportlich und wird eingeschult. Nun ist es so, dass die Bundesjugendspiele (bei uns im Osten hieß das Sportfest oder Spartakiade) jährlich stattfinden. Kein großes Ding, sollte man meinen. Da obliegt es mir als Mutter, mein unsportliches Kind entsprechend zu motivieren, teilzunehmen. Und ihm deutlich zu machen, dass ich es mit einer Teilnehmerurkunde genau so lieb habe wie mit einer Siegerurkunde. Weil das an dem Wesen meines Kindes nichts ändert. Ich liebe mein Kind so, wie es ist.

Wenn mein Kind unmusikalisch ist, stelle ich es doch auch nicht vom Musikunterricht frei, nur weil es sich beim Vorsingen vielleicht vor der “Peergroup” blamieren könnte!

Wenn meine Kinder mit ihrer “Peergroup” loszotteln und eine Mutprobe ansteht, sie sich dabei blamieren und ausgelacht werden, soll ich dann eine Petition gegen Mutproben starten?
Natürlich möchte ich meine Kinder vor Demütigungen bewahren. Ich möchte auch nicht, dass sie sich schlecht fühlen.
Aber ich kann sie nicht vor allem bewahren. Und manche Dinge gehören einfach dazu. Vor allem gehört es dazu, an Misserfolgen zu wachsen und daraus seine eigene Stärke zu gewinnen. Wenn die Kinder nicht gleich beim ersten Mal Fahrrad fahren konnten, habe ich sie doch auch ermutigt, weiter zu üben bis es klappt.

Wie bitte soll ich denn mein Kind auf das Leben vorbereiten, wenn ich es von Misserfolgen fern halte? Und wie soll es lernen, dass das Leben nicht nur aus Dingen besteht, die Spaß machen?
Das fängt doch im Kindergarten schon an. Wenn das Kind heulend heim kommt, weil XY eine schönere Sandburg gebaut hat, soll ich dann verlangen, dass in der Kita keine Sandburgen mehr gebaut werden dürfen, weil mein Kind sich gedemütigt fühlt?

Vielleicht hab ich auch einfach eine ganz andere Sicht der Dinge.
Aber das ganze “overprotecting” geht mir nunmal tierisch auf die Eierstöcke. Ich habe keine Lust, mir meine persönlichen Warmduscher heranzuziehen. Wenn sie sich beim Radfahren die Knie aufschlagen, kümmere ich mich um sie – aber es gehört nunmal dazu! Vielleicht kann am Ablauf der BJS etwas geändert werden – aber bringt das was? Wettbewerb ist Wettbewerb! Vielleicht führen wir einfach “Schülermikado” ein. Das Kind, was sich zuerst bewegt, hat verloren!

9 Kommentare zu “Wasch mich, aber mach mich nicht nass!”
  1. Hey, ich habe mich jahrelang von einer Peergroup demoralisieren lassen! 😉 Man sollte aber generell die Gestaltung des Sportunterrichts überarbeiten.
    LG
    Sabiene

      • Bei mir ist das ganze noch nicht soooo lange her. Aber ich kann jetzt schon mit Fug und Recht behaupten dass ich nie wieder so fit war wie zu Schulzeiten… zusammen mit diversen, tollen Blogs (wie deinem) und Sport versuch ich das gerade wieder gut zu machen. 😀

        Aber ich darf mich nicht beschweren, ich hatte einen klasse Sportlehrer, der nicht bewertet hat wie perfekt und schnell du warst, sondern wie sehr du dich im Vergleich zum Anfang VERBESSERT hast. (Ist klar dass ich lahme Ente keine 1er im 100m-Lauf bekommen hab, aber nur durch den Lehrstil hat sich jeder mehr angestrengt, weil jeder im dem Sinne CHancengleichheit hatte.)

        • Solche Sportleherer sollte es viel häufiger geben!
          Ich hab schon erlebt, das Kinder (meine) ne 5 oder 6 bekommen haben, weil sie gequatscht haben. Komische Sportbewertung

  2. Ich frage mich immer wieder, wie es uns gelungen ist, unsere Jugendzeit zu überstehen. Ich war schon als Kind dick und hatte Probleme mit 60 – und 100 m – Lauf, kam fast immer als Bummelletzte im Ziel an, auch Weitsprung ähnelte mehr einer Arschbombe im Sand und Hochsprung … ach du meine Güte, wie oft habe ich die Latte gerissen bei lächerlichen Höhen …. aber ich fand auch meine Stärken im Kugelweitwurf, Ausdauerlauf in den Gruppenspielen Handball, Basketball und Volleyball. Übrigens diese Peergroup gibt es auch heutzutage auf Arbeit bei den jüngeren Kollegen ….mir kommt die Idee, die Ursache für das Mobbing könnte darin zu finden sein, dass Mama diesen Menschenkindern für den Sportunterricht immer eine Entschuldigung geschrieben hat. Was sie in Kindertagen verpasst haben, leben sie jetzt aus, oder wie könnte man diese Sandkastenmentalität sonst erklären ?

    • Das könnte eine Erklärung sein 🙂 Wenn der nicht verarbeitete Frust dann später nicht mehr von Mama kompensiert wird, muss man andere Ventile finden.

  3. Das hast du klasse beschrieben. Meine Kinder sind ja schon groß und aus der Peergroup-Zeit irgendwie psychisch unbeschädigt entwachsen. Eltern können schon mächtig nerven mit dem Psycho-Kuschelkurs und ahnen vermutlich gar nicht, welche Steine sie ihren Kindern damit in den Weg legen, den sie irgendwann selbständig beschreiten sollen und müssen, ohne dass der Mama-Papa-Bagger bereitsteht, Hindernisse aus dem Weg zu entschuldigegn.
    LG Iris

    • Den Mama-Papa-Bagger muss ich mir merken 🙂
      Was meinst Du, warum ich es hasse, auf Elternabende gehen zu müssen – ich krieg schon bei dem Gedanken an die Helikopter Pickel überall. Und fühle mich immer ganz schlecht, weil ich meine, dass man sein Kind auch mal “auflaufen” lassen muss, damit es lernt, dass manche Dinge einfach erledigt werden müssen, ohne dass Mama sie macht.
      LG,
      Sabo

  4. Du sprichst mir aus der Seele. Als ich das las, dachte ich, ich bin im falschen Film.

    Ich muss dazusagen, ich habe früher die Bundesjungendspiele regelrecht gehasst und fand edn Sportunterricht scheusslich. Doch da musste ich durch und man überlebt es *gg* und ganz ehrlich ;-), da hätte ich mich trotz Unsportlichkeit lieber vom Vorsingen im Musikunterricht gedrückt, aber auch da musste ich durch…

    Meine Kinder, vorallem meine Tochter war immer maulig, so nen Sch… das nervt da mitmachen zu müssen. Hat nix genutzt, gehen musste sie trotzdem und später zuhause hieß es nur doofes Sportfest, aber Thema war durch. Glaub nicht, dass sie nen Trauma davon hat, dass sie gehen musste.
    Und empfinde mich deshalb auch nicht als Rabenmutter, dass sie gehen musste.

    Man kann es als Mama auch künstlich dramatisieren. Finde das gruselig und mit so Aufregern, machen sie ihrem Kind auch keinen Gefallen in der Schule, sondern grenzen es damit aus.

    Thema Sportunterricht sehe ich es aber auch, wie andere hier, da müsste was geändert werden. Da werden noch viel zu oft Kinder blossgestellt, weil sie Übungen nicht so können, oder unbeholfen sind.

    LG Martina

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