Das Phänomen des Identitätsverlustes

Letzens las ich wieder irgendwo einen Diskussionsbeitrag rund um Mutterschaft und Kinder. Und ich habe im Kindergarten ein Gespräch mitbekommen, bei dem mir wieder bewußt wurde, dass viele Mütter anscheinend mit Beginn der Schwangerschaft ihre Identität an der Tür abgeben und zu irgendwas werden. Klar, zu entweder werdenden oder zu Müttern. Aber ich finde es furchtbar. Nein, nicht das Mutter sein an sich, sondern der Sprachgebrauch vieler ab Beginn der Schwangerschaft.

“Schatz, WIR sind schwanger!” Oh, siehe da, Frau, eben noch erfolgsorientiert und nicht bereit, sich auch nur ansatzweise von irgendwem die Butter vom Brot nehmen zu lassen hat entdeckt, dass sie nun zu zweit ist und spricht ab dem zeitpunkt von sich nur noch in der WIR-Form.

Ist das normal? “Wir sind jetzt in der soundsovielten Woche und wiegen soundsoviel Gramm.” Cool, so eine schlanke Mutter, wiegt man grad lächerliche 800 Gramm (oder wieviel auch immer)
Ich war immer alleine in der Schwangerschaftswoche und meine Kinder wogen dann entsprechend. Ich bin wohl doch anders. Egal.
Aber kaum sind die Kinder geschlüpft, verstärkt sich dieses Phänomen auffallend.
“Wir müssen jetzt was essen / die Flasche geben / Milch trinken” oder “Wir haben die Windel voll”. Lasst Euch den Satz mal auf der Zunge zergehen und stellt Euch das bildlich vor, wie Mutter und Zwerg zeitgleich die Windel voll haben.

Schön ist auch die Frage nach Alter und Gewicht in diesem Zeitraum. Wir sind dann nämlich auch gemeinsam schon so und so viele Tage / Wochen alt und haben schon so viel zugenommen.
Allerdings geben die Mütter auch oft wirklich scheinbar ihre Identität ab und reden von sich selbst nur noch in der Mama-Form.
“Komm mal zu Mutti, Mutti macht das für Dich!” Hm?! Heißt das nicht “Komm mal her, ich erledige das!” oder so ähnlich?

Klar hab ich auch schon gesagt: “Mami macht das schon!” Aber nicht dauernd. Ich weiß immer noch, wer ich bin und kenne sogar meinen Namen noch.

Die Unterhaltung im Kindergarten lief in etwa so: “XY komm, Mutti muss Dir jetzt ganz schnell beim Anziehen helfen weil Mutti dann schnell mit Dir nach Hause muss. Mutti hat nämlich zuhause das Essen schon auf dem Herd und Vati kommt auch gleich nach Hause.” Ich bin wie versteinert stehen geblieben und dachte, ich traue meinen Ohren nicht mehr. Bei mir würde das anders klingen “Komm Schnecke, zieh Dich mal um, ich helf Dir auch. Dann können wir nämlich schnell nach Hause und zusammen mit Papi essen. Ich hab nämlich das Essen schon gekocht!” Oder so, da mein Mann selten mittags zuhause ist, und wir mittags eh nicht wirklich warm essen, kann ich jetzt keinen genauen Wortlaut finden.

Wir machen uns hier daheim manchmal einen Spaß draus, und reden uns bewußt mal mit “Muddi” oder “Vaddi” an, statt mit unseren Namen oder den sonst üblichen Anreden. Mal so zum Spaß fist das ja auch recht lustig und bringt auch die Kinder zum Lachen.

Ähnlich furchtbar finde ich die Babysprache, die sich Eltern teilweise angewöhnen. “Wo ist denn der Nunu?” ist dabei noch fast das Harmloseste. Alles wird verniedlicht oder teilweise so verändert, dass manche Bedeutungen nur noch schwer zu erkennen sind. “Haben wir wieder AA in das Windelchen gemacht mein kleines Scheißerchen? Das findet Mutti aber bäh!”
Natürlich kann ich mit meinen Kindern im Babyalter nicht so reden, wie mit einem Erwachsenen, aber kindgerechte Sprache heißt doch nicht, dass Eltern verpflichtet sind, sich brabbelnd zum Kasper zu machen.

Obwohl ich ja gestehen muss, wenn ich teilweise die Kids höre, wenn sie sich unterhalten oder beim zappen mal an einer Pseudo-Doku hängenbleibe, dann versteh ich manchmal auch nur Bahnhof und frage mich, ob es wirklich Absicht ist, dass die deutsche Sprache so vergewaltigt wird, dass es klingt wie eine Mischung aus Türkisch-Ruhrpott-Slang. “Krass, Alder, weissu!”

Wie sieht es denn bei Euch aus? Kennt ihr noch eure Namen?

10 Kommentare zu “Das Phänomen des Identitätsverlustes”
  1. Wir sind zum Glück nicht schwanger, das überlassen wir jetzt den Kindern 😀 Was soll ich sagen, sicher liegt das an den Glückshormonen des Mutter seins. Es soll aber auch in so manchem Camper-Kreis Gang und Gebe sein im Wir zu reden. Für mich sind Kinder kleine Erwachsene, denen häufig leider zu wenig zugetraut wird. Anders formulieren, klar in manchen Situationen vielleicht schon, andererseits verstehen sie das meiste wohl auch in simplen deutsch. Un jetzt muss ich ma duschen, hör ma, das Gestink ist nich mehr zu ertragen 😀

    Knutscha

  2. Schöner Beitrag. Der Identitätsverlust geht auch mit “schlechtem” Lernen der eigenen Sprache einher. Meine Frau und ich haben auf Dutzidutziduu und ähnliches auch nicht verzichtet, aber mit Maßen im Spaß eingesetzt.

    Von Anfang an haben wir mit unseren Kindern gesprochen wie mit Erwachsenen, in kompletten Sätzen und weitgehend grammatikalisch richtig. Da zeigt sich dann schon bald im (gar nicht so wichtigen) Vergleich, dass sie sich besser als die meisten ihrer Alterstufe ausdrücken können.

    Schlimmer als das ist, wenn Eltern so wenig mit ihren Kindern sprechen, dass sie in der Kita als “Kaspar Hauser” bezeichnet werden.

    Das die Jugend die Sprache verändert, war ja schon immer so. Dennoch sollten ganze Sätze mit einigermaßen richtiger Grammatik möglich sein, sonst werden wir uns immer mehr missverstehen.

    Oops, jetzt habe ich schon wieder einen Beitrag aus einem Kommentar gemacht.

    LG
    Manni

  3. 🙂 Ja klar, mal in Babysorache rumzualbern ist ja auch okay, das macht glaub ich jeder mal.
    Die “Kaspar Hausers” erlebe ich im Kindergarten leider zur Genüge. Da sind 4/5 Jährige Kinder, die erstens noch mit Nuckel aufschlagen, was ich schon furchtbar finde, und dann so unverständlichen Kauderwelsch zusammenbrabbeln, dass ich nur dastehe und Bahnhof verstehe. Unsere 4-jährige Zwecke hingegen erstaunt mich immer wieder mit ihrer Sprachgewandtheit.
    LG, Sabo

    PS – lange Kommentare sind völlig okay 🙂

  4. Ein langer Kommentar wird das jetzt nicht, denn ich kann aufgrund mangelnder Kinderzahl ja nicht auf einen großen Erfahrungsschatz zurückgreifen. Ich möchte aber trotzdem kurz was sagen: Ich finde es auch fürchterlich, wenn Eltern so reden, aber noch furchtbarer finde ich, wenn ich total genervte Mütter mit ihren kleinen Kindern sehe, die diese die ganzen Zeit nur von der Seite anbrammen, obwohl das Kind eigentlich nur Kind ist. Dann doch lieber Nunu und wauwau und muh und happi, dass behindert die kleinen vielleicht in der Sprache aber vergewaltigt nicht deren Seele. Du weißt was ich sagen möchte, oder???

  5. Ich glaub ich weiß, was Du sagen willst. Obwohl ich gestehe, dass ich meine manchmal auch von der Seite anfauche. Aber ich bemühe mich, das nicht in der Öffentlichkeit zu machen. Knörrende Kids, die sich im Supermarkt auf den Boden werfen habe ich kuriert, indem ich sie einfach gnatzend stehenlassen hab und weitergegangen bin 😉 Das hat geholfen – denn ohne mich war die Schoki nur noch halb so wichtig.

  6. Mmh, je länger ich zusammen mit meinen drei Zwergen lebe, desto stärker ist mein Verlangen einfach nur ICH zu sein.
    Ich möchte nicht immer nur “wir” sein, ich möchte nichts mehr verniedlichen, ich möchte selbstständige Kinder haben, damit ich auch wieder selbstständig sein kann. Ich will nicht immer nur “Mamaaaaa” sein, ich bin ich, und ich finde es richtig klasse, wenn ich beim Vornamen angesprochen werde. Wenn ich mich ganz normal unterhalten kann, ohne mir gehirnamputiert vorzukommen. Ich finde die Vorstellung gruselig, dass es mich immer nur versteckt in einem “wir” geben soll. Nee, kann ich nichts mit anfangen.

    Und bei mir klingt das “Mittagessen-KiTa-Szenario” eher wie: “Kind, komm angetrabt, sonst gibts zuhause nur Steinkohle!” Ob der Papa nun dabei ist, ist den Kindern eh egal 😉 Und Kind findet “traben” immer witzig, wiehert dann dementsprechend und lässt sich trotzdem beim Hufeisen anziehen gerne helfen 🙂

  7. Ach wie schön. Endlich mal wieder etwas zum schmunzeln gehabt. Eigentlich könnte ich meine Antwort in einem eigenen Blog Beitrag verfassen aber ich halte mich mal an einen kurzen Kommentar.
    Wir reden ganz normal mit unseren Kindern. Ja auch mit dem Säugling (8 Monate). Klar macht man auch mal Quatsch oder alber rum aber im großen und ganzen reden wir so mit den Kindern wie mit älteren Kindern auch, nur bischen vereinfachter. Kurze Sätze mit wenig Worten sind super verständlich. Unsere Kinder haben keinen Sprachfehler und müssen diesen nicht antrainiert bekommen. Habe dies auch der Familie und Freunden gesagt. Irgendwann verblödet man doch selbst. “uiiiiii gugge da eine gack gack” BITTE WAS??? Ach du meinst eine Ente und die macht Quak oder Gack. Dann sag dass auch.Zu meiner Belustigung verbessert unsere große mit ihren 2,5 Jahren jetzt schon meine Schwiegermutter wenn die mal wieder meint unverständliches, blödes Zeug zu reden. Ach und mein Körper gehört mir. Die Zwerge hatten sich nur eingemietet. WIR gehen zwar zusammen irgendwo hin oder unternehmen etwas zusammen und WIR sind eine Familie. Aber nach dem Motto : Wie geht es uns denn heute? Wie es dir geht weiss ich nicht aber ich bin genervt! Sind meine Kinder eigenständige Personen die ganz alleine in die Buxe machen dürfen 😉

  8. 😀 Ich liebe Kinder, die anfangen, die Großen zu verbessern, weil sie es gewöhnt sind, dass ihre Eltern normal mit ihnen reden. Just vorhin im Kindergarten bin ich ganz schnell rausgeschlichen, weil ich sonst an meinem Versuch, mir das Lachen zu verkneifen erstickt wäre. Eins der KiGa-Kinder ist mit 4 oder 5 Jahren immer noch mit Nuckel bewaffnet und unsere Tochter sah es und sprach: Mami, der XX ist immernoch ein Baby, der hat noch einen Nuckel und ist doch schon größer als ich.
    Sie können so herrlich ehrlich sein 😉

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